„Signal aus Zerbst“ verstummt nicht oder der „Zerbster Weg“ in den deutsch-russischen Beziehungen
Annegret Mainzer, Zerbst
Gegen Russland gerichtete wirtschaftliche Sanktionen seitens der Europäischen Union, NATO-Truppenübungen nahe der europäischen Grenzen zu Russland, Androhung von Sanktionen gegen Nord-Stream-2-Inverstoren seitens der USA, Aufstockung der US-Truppen in Polen sowie das nie enden wollende, mantraartige Heraufbeschwören des Feindbildes „Russland“ durch Medien und Politiker – nicht nur deutschland- und europaweit, auch weltweit- prägten in den vergangenen Jahren und prägen bis zum heutigen Tag, abgesehen von der derzeitigen Corona-Krise, unsere Nachrichten- und Informationslandschaft.
Jedoch sind nicht alle Deutschen mehr gewillt, diese geschürte Anti-Russlandstimmung zu unterstützen, so werden innerhalb unserer Zivilgesellschaft – auch unter Bundes-, Landes- und Kommunalpolitikern – zunehmend Stimmen laut, die normale, vor allem friedliche Beziehungen zu Russland einfordern, indem die Embargomaßnahmen gegen Russland eingestellt werden. Schlussendlich haben sie der deutschen Wirtschaft einen erheblichen Schaden zugefügt.
Diese Stimmen gegen die Anti-Russlandhaltung kommen seit Jahren auch verstärkt aus meiner Heimatstadt Zerbst/Anhalt, und darauf bin ich sehr stolz, denn seit Mitte des 18. Jahrhunderts pflegt die Stadt Zerbst besondere, ja „verwandtschaftliche“ Beziehungen zu Russland. Im Januar 1744 reiste die Prinzessin Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst (1729-1796) ins Russische Reich, um im darauffolgenden Jahr den dortigen Thronfolger zu heiraten. Im Jahr 1762 bestieg sie als Zarin Katharina II. den russischen Thron und betrat somit die politische Bühne Europas. Katharina II. regierte 34 Jahre lang, schob eine Vielzahl fortschrittlicher Reformen an, die von ihren Nachfahren fortgeführt wurden. Zweifelsfrei gehört Katharina II. neben Zar Peter I. zu den Leuchttürmen der russischen Geschichtsschreibung.
Die Einwohner von Zerbst/Anhalt setzen sich seit gut 30 Jahren verstärkt für freundschaftliche und friedliche Beziehungen zu Russland ein. So wurde im Jahr 1992 der gemeinnützige Internationale Förderverein „Katharina II.“ Zerbst e. V. (Katharina-Verein) gegründet, auf dessen Initiative 1995 in den Zerbster Kavaliershäusern die Sammlung Katharina II., eine ständige Ausstellung zum Leben und Wirken der aus dem Fürstenhaus Anhalt-Zerbst stammenden russischen Zarin, eröffnet wurde. Bereits im Jahr zuvor hatten die Stadtoberhäupter von Zerbst und Puschkin/St. Petersburg (ehemals: Zarskoje Selo) einen Städtepartnerschaftsvertrag unterschrieben. Im Rahmen dieses Vertrages erwuchs eine lebendige Partnerschaft zwischen dem Zerbster Gymnasium Francisceum und dem Gymnasium Nr. 406 in Puschkin. Eine weitere partnerschaftliche Zusammenarbeit besteht zwischen dem 2003 gegründeten gemeinnützigen Förderverein Schloss Zerbst e.V (Schlossverein) und dem Staatlichen Museumsreservat „Zarskoje Selo“ in Puschkin, wovon bisher zwei gemeinsame im Zerbster Schloss gestaltete Ausstellungen zeugen. Ein ständiger Austausch zwischen Zerbster und Puschkiner Künstler- und Schülergruppen sowie zwischen den Stadtoberhäuptern erfolgte ebenfalls in den letzten Jahren kontinuierlich. Für diese lebendige und auf vielen Schultern verteilte Städtepartnerschaft wurden die Städte Zerbst/Anhalt und Puschkin/ St. Petersburg im Jahr 2018 im Rahmen der Abschlussveranstaltung des Deutsch-Russischen Jahres der kommunalen und regionalen Partnerschaften 2017/2018 im Auswärtigen Amt in Berlin im Beisein der Außenminister beider Länder – Heiko Maas und Sergej Lawrow – ausgezeichnet.
Zerbst bekennt sich zu friedlichen deutsch-russischen Beziehungen
Vor allem in der zurückliegenden Dekade war das Bekenntnis der Stadt Zerbst/Anhalt zu Festigung und Ausbau der Beziehungen zu Russland in den deutschen wie auch in den russischen Medien sehr präsent.
Dabei stellte am 09. Juli 2010 die festliche Enthüllung und Weihe des vom Moskauer Bildhauer Professor Michail Perejaslawez (1949-2020) geschaffenen Denkmals für Katharina II. im Zerbster Schlossgarten einen absoluten Höhepunkt dar – ein Ereignis, das auch in den Medien Russlands seinen würdigen Niederschlag fand.
Einige Zeit später, im Jahr 2012, wurde in Zerbst/Anhalt im Beisein von Wladimir Grinin, seinerzeit Botschafter der Russischen Förderation in Deutschland, eine touristische Katharina-Route eröffnet. 2014 übernahm der russische Botschafter die Schirmherrschaft über den Wiederaufbau des Ostflügels des am 16. April 1945 zerstörten Zerbster Schlosses, des elterlichen Schlosses Katharinas der Großen.
Seit dem Jahr 2016 arbeiten die Stadt Zerbst/Anhalt, der Katharina-Verein, der Schloss-Verein und die Kirchengemeinde St. Bartholomäi in zunehmendem Maße mit dem Internationalen Verband der Deutschen Kultur (IVDK), der seinen Sitz in Moskau hat, zusammen. Jeweils 2016, 2017 und 2018 nahmen Delegationen aus Zerbst am vom IVDK organisierten Großen Katharina-Ball in Zarizyno bei Moskau teil. 2019 übernahm die Stadt Zerbst/Anhalt erfolgreich die Gastgeberrolle für den Großen Katharina-Ball.
Katharina-Forum: Signal von Zerbst
2018 und 2019 war Zerbst/Anhalt auch Austragungsort des 1. und 2. Katharina-Forums, eines vom Land Sachsen-Anhalt und der Stadt Zerbst/Anhalt initiierten deutsch-russischen Wirtschaftsforums. Auf dem 1. Katharina-Forum erinnerte Sergei Netschajew, derzeitiger Botschafter der Russischen Förderation in Deutschland, in seinem Impulsvortrag daran, dass Zarin Katharina II. eine weise und ausgewogene Wirtschafts- und Außenpolitik betrieben, den Außenhandel liberalisiert und Zölle gesenkt habe, im gleichen Atemzug verwies er darauf, dass der Sanktionsdruck gegenüber Russland für den Ausbau der deutsch-russischen Beziehungen nicht förderlich sei. Der verdiente Deutschland- und Europapolitiker Professor Günter Verheugen blickte in seinen Ausführungen auf die jüngste Geschichte der deutsch-russischen Beziehungen zurück und prägte dabei ein neues geflügeltes Wort: „Nennen Sie das 1. Katharina-Forum das Signal von Zerbst!“.
Dass das Signal von Zerbst nicht verstummt ist, davon zeugen weitere Events und Initiativen in Zerbst/Anhalt, die der Festigung der Beziehungen zu Russland dienen. Unabhängig von Wetterlage der sogenannten großen Politik wird der „Zerbster Weg“ verfolgt.
Zahlreiche und vielfältige deutsch-russische Events in Zerbst/Anhalt
So fand 2019 das 2. deutsch-russische Katharina-Forum unter dem Motto „Russland ist besser als sein Ruf“ in Zerbst statt. Auch hatten russische Diplomaten das Zerbster Schloss als geeigneten Ort ausgewählt, um im Juni 2019, im Jahr des 290. Geburtstages von Zarin Katharina II., ihr Forum „Russland und Deutschland. Ein historisch-diplomatisches Erbe beider Länder“ zu eröffnen. Bereits im Jahr zuvor – 2018 – war die Zerbster Stadthalle Austragungsort für die vom Förderverein der Deutschen aus Russland in Sachsen-Anhalt e.V. unter dem Motto „Von Diaspora zur Demokratie: Russischsprachige Community lernt Beteiligung und Toleranz“ organisierte Vereinsakademie. Im Herbst 2019 zeigten der IVDK und die Deutsche Moskauer Zeitung ihre Fotoausstellung „Das deutsche Wolgagebiet. Eine unendliche Fotogeschichte.“ in der Kirche St. Bartholomäi zu Zerbst.
Trotz Corona Zerbst bleibt in puncto Russland am Ball
Trotz der derzeitigen Corona-Krise bleibt Zerbst in Sachen freundschaftlicher und friedlicher Beziehungen zu Russland am Ball. Eigentlich sollte im September 2020 am Fuße des Zerbster Katharina-Denkmals der vom gemeinnützigen Verein „Zukunft-Frieden“ Bitterfeld e V. initiierte Friedenslauf: Zerbst/Anhalt-St.Petersburg starten, doch aufgrund der weltweiten Auswirkungen der Corona-Pandemie wurde der Start vorerst auf das Jahr 2021 verschoben. Die Stadt Zerbst/Anhalt und der Katharina-Verein unterstützen diesen 2600 km langen Friedenslauf.
Auch ein 3. deutsch-russisches Katharina-Forum wird am 26. und 27. April 2021 in Zerbst/Anhalt stattfinden.
Im Jahr 2022 jährt sich die Thronbesteigung von Zarin Katharina II. zum 260. Male. Dieses nehmen der Katharina-Verein und die Stadt Zerbst/Anhalt zum Anlass, Vertreter der Städte, in denen ein Katharina-Denkmal stand und noch steht, zu einem Internationalen Symposium einzuladen, um Fragen der Koordinierung einer möglichen Zusammenarbeit auf den Gebieten Kultur, Tourismus und Wirtschaft zu erörtern und Synergieeffekte auszuloten. Bereits im Jahr 1996 aus Anlass des 200. Todestages fand in Zerbst eine wissenschaftliche Konferenz mit internationaler Historiker-Besetzung statt. Auch plant der Förderverein Schloss Zerbst für das Jahr 2022 eine weitere, dann bereits die dritte gemeinsame Ausstellung mit dem Staatlichen Museumsreservat „Zarskoje Selo“ in Puschkin, die im Zerbster Schloss gezeigt werden soll.
Die Stadt Zerbst/Anhalt und der dort ansässige und international agierende Katharina-Verein sowie die im Beitrag bereits genannten Organisationen stehen mit ihrem Bemühen um friedliche und freundschaftliche Beziehungen zu Russland nicht allein, ihnen zur Seite stehen unter anderem der Kieler Zarenverein, die Maria-Pawlowna-Gesellschaft in Weimar, das Deutsch-Russische Kulturinstitut in Dresden, die Vereinigungen der Deutschen aus Russland sowohl in Deutschland wie auch in Russland und zahlreiche andere, die hier aus Platzgründen nicht genannt werden können. Denn, wie bereits die Geschichte mehrfach bewiesen hat, wenn Deutsche und Russen gut zusammenarbeiten, friedlich zusammenleben, geht es ihnen und den anderen Völkern gut und es herrscht Frieden.
Zerbst, 16.08.2020