Eva Stachniak: Die Schwester des Tänzers – Aus dem Schatten des Bruders

Eva Stachniak: Die Schwester des Tänzers – Aus dem Schatten des Bruders

Annegret Mainzer, Zerbst

Die Familie Nijinsky, die an der Geschichte der europäischen Ballettkunst, aktiv mitschrieb, steht im Fokus des Romans Die Schwester des Tänzers (im Original The chosen maid) der polnischstämmigen, doch in Kanada lebenden Schriftstellerin Eva Stachniak, die bereits mit ihren Romanen über Zarin Katharina II. – Der Winterpalast und Die Zarin der Nacht – zwei Bestseller auf internationaler Ebene landete.

Die Geschwister Waslaw, Bronislawa und Stanislaw Nijinsky erleben in ihrem Elternhaus hautnah alle Facetten des Lebens von Balletttänzern, da ihre Eltern selbst diesen Beruf ausüben. Sehr schnell begreifen die Nijinsky-Kinder, dass Fleiß und Erfolg oft von körperlichen Schmerzen und auch von dem Neid der Anderen begleitet werden. Die Nijinsky-Eltern sind in erster Linie daran interessiert, aus ihren Kindern ebenfalls erfolgreiche Balletttänzer zu machen, was ihnen jedoch nur bei Waslaw und Bronislawa gelingt.

Nach der Trennung der Eltern leben Waslaw und Bronislawa zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit ihrer Mutter in St. Petersburg, wo sich die Geschwister auf die Aufnahmeprüfung in die Kaiserliche Ballettschule vorbereiten. Sowohl Waslaw wie auch Bronislawa schaffen diesen Schritt, wobei sich Waslaw als der Talentiertere von beiden herausstellt, der bald seine Mitschüler in den Schatten stellt und überflügelt, während Bronislawa, auch nicht untalentiert, hart üben und trainieren muss, um zu den Besten zu gehören.

Waslaw Nijinsky entwickelt eine ungewöhnliche Leidenschaft für das Tanzen und für die damalige Zeit eine sehr eigenwillige, revolutionäre Art des Tanzes und der Choreografie. Dies praktiziert er vor allem beim Ballets-Russes in Paris, das Sergei Djagiljew führt.

So gnadenlos und und apodiktisch Waslaw Nijinsky gegen sich selbst im Training und auf der Bühne war, so unbarmherzig forderte er einen lodernden und bedingungslosen Einsatz für die Kunst des Balletts ebenso von seiner Schwester Bronislawa, auch wenn es bedeutete, persönliche Interessen, hintenan zu stellen. Um so größer seine Enttäuschung, als seine von ihm geförderte Schwester Bronislawa den irdischen Freuden des Lebens nachgibt, heiratet und Kinder zur Welt bringt. In den Augen von Waslaw verrät Bronislawa ihre scheinbar gemeinsamen hehren Ideale und Ziele.

Waslaw schockiert des Öfteren mit seinen vom klassischen Ballett abweichenden Auftritten und Choreografien sein Publikum, fasziniert es aber zugleich und erntet Beifall. Für Waslaw erweisen sich seine avantgardistischen Ideen und sein Erfolg als Tänzer als unheilvolle Kombination, denn im Laufe der Zeit – Genie und Wahnsinn liegen ja bekanntlich dicht beieinander – muss Waslaw in Sanatorien zur Behandlung eingewiesen werden, wohingegen sich das Selbstbewusstsein von Bronislawa aufgrund ihrer zunehmend verantwortungsvolleren Tätigkeit auf der Bühne, in der Ballettschule und auf dem Gebiet der Choreografie stärkt.

Der Autorin Eva Stachniak gelingt es in ihrem Roman Die Schwester des Tänzers hervorragend darzustellen, wie Bronislawa aus dem Schatten ihres legendären Bruders Waslaw hervortritt, selbstständig Entscheidungen trifft und agiert. Sie übernimmt allmählich den Part ihres Bruders, nämlich die Stärkere zu sein und verwirklicht ihre eigenen Ideen sowohl im Beruflichen wie im Familiären.

Als Element der Beständigkeit und Verbindung zu Familie und Vergangenheit fungiert Mamusia, wie Waslaw und Bronislawa liebevoll ihre Mutter nennen. Mamusia begleitet ihre Tochter fast überallhin und kümmert sich bis zu ihrem Tode um deren Kinder.

Eva Stachniak gestaltet ihren Roman Die Schwester des Tänzers als eine Art von Tagebuchaufzeichnungen mit retrospektivem Charakter aus dem Jahr 1939, die Bronislawa während einer Überfahrt nach Amerika verfasst. Dabei dringt die Autorin dank ihrer fleißigen Recherchen nicht nur tief in die Gefühlswelt ihrer Protagonistinnen und Protagonisten vor und lupft den Vorhang für einen intensiveren Blick in die Welt des Balletts, Eva Stachniak beschreibt auch sehr überzeugend und anschaulich die seinerzeit instabilen politischen Verhältnisse in Russland und im übrigen Europa.

Der Sprachstil von Eva Stachniak ist durchgängig ein ausgereifter und anspruchsvoller, auch in der vorliegenden deutschen Übersetzung von Peter Knecht. Das Buch ist stellenweise nicht „schnell“ zu lesen, doch durchweg angenehm und flüssig.

Insgesamt zeichnet sich der Roman Die Schwester des Tänzers von Eva Stachniak durch einen hohen Grad an Authentizität aus und ermöglicht der Leserschaft einen einzigartigen Einblick in die harte Welt des Balletts.

Auf einer Skala von zehn Punkten vergebe ich für diesen Roman neun Punkte.

Zerbst, den 07. Januar 2018

https://russianhalthistory.wordpress.com/2015/05/27/vorgestellt-romane-von-eva-stachniak-uber-zarin-katharina-die-grose-von-russland/