Collegienrat von Schardius in Petersburg

Collegienrat von Schardius in Petersburg

Collegienrat Schardius
Collegienrat Schardius

Im Zerbster Heimatkalender 1973 wird der „kaiserlich- russische Collegienrat Ritter Dr. von Schardius“erwähnt. Der Autor Hans Schulze, langjähriger Leiter der Historischen Bibliothek am Zerbster Francisceum ging in seinen damaligen Ausführungen weniger auf das Leben und Wirken von Dr. Schardius ein, sondern mehr auf die wissenschaftlichen Publikationen, die jener Dr. von Schardius regelmäßig nach Zerbst gesandt hatte. Heute bilden diese von der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften St. Petersburg herausgegebenen Schriften die Sammlung Schardiana. Das sind ca. 250 in deutscher, französischer, russischer, lateinischer und englischer Sprache verfasste wissenschaftliche Publikationen, die dank der Großzügigkeit von Schardius nach Zerbst kamen. Jeder dieser Schriften ist mit der Widmung „ Für das Herzogl. Francisceum (…) Schardius“ versehen. Die Schardiana umfasst nicht nur wissenschaftliche Schriften, sondern auch zahlreiche Siegelabdrücke von Gemmen und Glaspastenabdrücke von Kameen.
Bis vor kurzem waren die Biografie und die Tätigkeit von Schardius noch sehr lückenhaft erforscht. Anzumerken ist noch, dass Schardius in den wenigen Beiträgen über ihn unterschiedlich tituliert wird- Dr. von Schardius, von Schardius– im vorliegenden Beitrag wird auf jegliche Titel, die durchaus im Rahmen des Möglichen liegen, aber noch nicht belegt sind, verzichtet.
Friedrich Ludwig Schardius machte nicht nur der Zerbster Francisceumsbibliothek wertvolle und umfangreiche Büchergeschenke, seinen Namen findet man ebenso in den Annalen der heutigen Anhaltischen Landesbücherei Dessau, die im Jahre 1836 von ihm wertvolle russische, polnische, mongolische und chinesische Drucke bekam.
Friedrich Ludwig Schardius, in Russland wahrscheinlich Lev Aleksandrovič genannt, wurde 1795 vermutlich in Dessau, aber ganz sicher in Anhalt geboren. Für Dessau als Geburtsort spricht auch die Tatsache, dass sich in den Matrikeln des Gymnasiums illustre zu Zerbst in Anhalt drei Einträge, nämlich Johann Schardius aus dem Jahr 1727, Georgius Henricus Christianus Schardius aus dem Jahr 1739 und Franciscus Petrus Henricus Schardius aus dem Jahr 1767 jeweils mit der Herkunftsangabe Dessau/ Anhalt finden lassen.
Nach bisherigen Recherchen absolvierte Friedrich Ludwig Schardius ein Studium an der Universität Leipzig, deren Matrikel vom 24. Oktober 1814 einen Studenten namens Louis Schardius, eingeschrieben für das Wintersemester 1814/15, aufweisen.
Mare Rand, langjährige wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universitätsbibliothek Tartu und Leiterin der dortigen Handschriften- und Rara-Abteilung, teilte mir mit, dass zwei Dokumente existieren, die belegen, dass Schardius in Leipzig in den Jahren 1816- 1817 juristische Vorlesungen der Professoren Christian Gottlieb Haubold (1766- 1824) und Christian Gottlieb Biener (1748- 1828) besucht hatte. Haubold war seit 1766 Ordentlicher Professor der Leipziger Universität, wo er Sächsisches Recht lehrte. Biener, der an den Universitäten Wittenberg und Leipzig studiert und 1777 in Rechtswissenschaften promoviert hatte, war später Ordinarius der Rechtsfakultät der Universität Leipzig.
Die Gründe von Friedrich Ludwig Schardius, Deutschland zu verlassen und nach Russland zu gehen, sind bisher unbekannt. In Russland wirkte er hauptsächlich in St. Petersburg, wo er seit 1823 als Archivar, Dolmetscher und Mitarbeiter der Bibliothek der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften tätig war. Diese Bibliothek wurde auf Geheiß von Zar Peter I. Gegründet, dessen persönliche Büchersammlung als Grundstock dafür diente.
Im Jahr 1827 wurde Schardius Kustos der Numismatischen Abteilung der Eremitage in St. Petersburg, diesen Posten bekleidete er bis zu seinem Tode. Die Numismatische Abteilung war 1771 eingerichtet worden. Hier war Schardius seit 1838 vor allem für die russischen und westeuropäischen Münzen, seit 1845 für die Münzen aus dem Osten und seit 1851 für die Medaillen der so genannten neueren Zeit zuständig. In den Jahren 1850/51 hatte Schardius die Funktion eines Kollegienassessors inne. Seine Funktionen bzw. seine Tätigkeitsbereiche sind ebenfalls in der im Jahr 2006 herausgegebenen Monografie Leiter und Mitarbeiter der Bibliothek der Russischen Akademie der Wissenschaften im XVIII.- XIX. Jahrhundert beschrieben.
Außerdem war Schardius leidenschaftlicher Sammler von Autografen namhafter Staatsmänner, Gelehrter, Schriftsteller, Musiker, Wissenschaftler. 1852 vermachte Schardius testamentarisch seine umfangreiche Autografensammlung der Universität Dorpat anlässlich des 50. Jahrestages ihrer Wiedereröffnung. 1856 kam die Sammlung nach Dorpat. Im Jahr 1921 gab die Universität 304 auf Russland bezogene Autografen dieser Sammlung an die südlich von Moskau gelegene Universitätsbibliothek Voronež ab. Heute zählt die Schardius- Autografensammlung zu den wertvollsten und bedeutendsten Beständen der Universitätsbibliothek Tartu und ist sogar digitalisiert worden.
Mare Rand schreibt über die Bedeutung der Handschriftenkollektion von Schardius in ihrem Brief vom 22.09.2009 an mich: „ Die Schardius- Sammlung war eine der ersten Sammlungen, die wir in unseren e- Katalog aufgenommen und digitalisiert haben (…) Die Schardius– Sammlung in der Universitätsbibliothek Tartu ist heute und immer von wichtiger Bedeutung gewesen und nicht nur für uns. Vergleicht man die Schardius- Sammlung mit irgendeiner anderen Sammlung etwa um die Wende bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, z.B. mit der Autografensammlung von Goethe, sieht man, dass es sich dem Inhalt nach um eine typische Autografensammlung ihrer Zeit handelt.
Sie enthält verschiedenartige Einzelstücke, Briefe, Brieffragmente, Autogramme, eigenhändige Gedichte und dgl.- von 2920 bekannten Gelehrten, Schriftstellern, Komponisten, Interpreten, Schauspieler, Machthaber, Feldherren, Staatsmännern usw. aus dem Zeitraum 1512- 1855. Nur dank dieser Sammlung besitzt unsere Bibliothek Autografen von Beethoven, Rossini, W. Scott, K. Linne oder von Kaiser Maximilian I. Solche Handschriften beleben wissenschaftliche Forschung aus der Geschichte, so ist die Sammlung emotional zu bewerten. Für die wissenschaftliche Forschung ist es wichtig, hier ein fehlendes Stück eines Briefwechsels oder irgendwelcher anderer Handschriften einer Person zu finden.“
Sowohl Mare Rand aus Tartu wie auch die Moskauer Historikerin Ludmila Pawlowna Kolodnikowa, stellvertretende Direktorin des Instituts für Geschichte an der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, bestätigten unabhängig voneinander in Ihren Schreiben an mich, dass Schardius so manche wertvolle Unterschrift aus offiziellen Archivdokumenten ausgeschnitten haben soll, um diese dann in seine private Autografensammlung zu >integrieren „ Am leichtesten war dies bei den Autografen, die sich in Sammlungen befanden, zu denen er direkten Zugriff hatte. Jedoch auch anderen Akademikerbriefen spürte er systematisch nach. So sind von den ersten 22 Wirklichen Akademiemitgliedern- Professoren und Adjunkten-, die die Akademie in den Jahren 1725- 1727 berufen hatte, in der Schardius- Sammlung mit 14 Briefen vertreten(…) Wie dem heutigen Benutzer der Schardius- Sammlung nicht entgehen wird, wurden aus mehreren Akten Briefe bzw. deren Kopien entnommen, Briefunterschriften abgeschnitten und ähnliche Schäden angerichtet.“
Bestätigung findet dieses unrühmliche Handeln von Schardius in den Arbeiten der russischen Historikerin Dr. I.V. Tunkina. In dem nicht veröffentlichten Historischen Abriss des Archivs der Akademie der Wissenschaften der UdSSR 1728- 1962 erwähnt Dr. Tunkina im Zusammenhang mit Schardius einen Brief aus Zerbst, in dem aber auch kein Hinweis auf seinen genauen Geburtsort gegeben wird.
Warum vermachte Friedrich Ludwig Schardius seine Autografensammlung der Universität Dorpat?
Eine endgültige Antwort kann auf diese Frage nicht gegeben werden. Ausschlaggebend für seine Entscheidung war vermutlich, dass Dorpat eine deutschsprachige Universität war. Mare Rand wies noch einmal darauf hin, dass Schardius gute Kontakte zu einigen Dorpater Professoren gepflegt habe. Zu nennen sei dabei der aus Magdeburg stammende Professor und Bibliothekar Johann Simon Karl Morgenstern (1770- 1852), der seit 1826 Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften St. Petersburg war und während seiner zahlreichen Aufenthalte in St. Petersburg auch Schardius besuchte. Kenner der der Literaturwissenschaft wissen, dass auf Morgenstern der Begriff „ Bildungsroman“ zurückgeht.
Zum anderen hatte Morgenstern von 1802- 1832 nicht nur eine Professur für Rhetorik, Klassische Philologie, Ästhetik, Literatur- und Kunstgeschichte an der Universität Dorpat inne, sondern war bis 1838 auch der erste Direktor der dortigen Universitätsbibliothek. Morgenstern, dessen Privatbibliothek mehr als 10 000 Bände umfasste, vermachte diese der Universitätsbibliothek Dorpat. Zu Lebzeiten von Morgenstern spielte der Briefwechsel eine unschätzbare Rolle. Der Austausch von Informationen und ihre weltweite Verbreitung bzw. Veröffentlichung- das, was in unserer digitalisierten Zeit via Internet und soziale Netzwerke erfolgt, diese Funktionen übernahm die schriftliche Korrespondenz. So führte ein so vielseitig interessierter Mensch wie Morgenstern von 1790- 1851 Briefwechsel mit ca. 700 Personen. Des Weiteren zählte Morgenstern zu den ordentlichen Mitgliedern der Kurländischen Gesellschaft für Literatur und Kunst.
Weiterhin gab es persönliche Kontakte zwischen Schardius und dem deutsch- baltischen Astronomen Georg Friedrich Wilhelm Struve (1793- 1864), der nachweislich zirka 20 Briefe dem Sammler Schardius überlassen hatte. Struve, selbst Absolvent und Dozent der Dorpater Universität sowie seit 1832 Mitglied der Akademie der Wissenschaften St. Petersburg, wurde 1839 zu ersten Direktor der 18 km südlich von St. Petersburg gelegenen Sternwarte Pulkowo ernannt.
Zu den Inhalten der von Schardius gesammelten Akademikerbriefe schreibt Mare Rand: „ Inhaltlich handelt es sich in vielen Fällen um an die Akademie gerichtete Dankschreiben neu gewählter Akademiemitglieder oder um Begleitschreiben, mit denen der Akademie die neusten Veröffentlichungen ihrer Mitglieder zugingen. Mehr Informationen bieten die Briefe, in denen Gelehrte über Forschungsreisen, darunter über sibirische Expeditionen (…) berichten.“
So finden sich in der Schardius- Sammlung auch handschriftliche Aufzeichnungen der Forschungsreisenden Peter Simon Pallas, S. G. Gmelin und G.W. Steller. Friedrich Ludwig Schardius verstarb am 14. März 1855 in St. Petersburg.

Quellen:
1.Schulze, H.: Russisches Schriftentum in der Bibliothek der Erweiterten Oberschule Zerbst in: Zerbster
Heimatkalender 1973, Zerbst,1972, S. 78- 81
2.Rand, M.: Die St. Petersburger Akademie der Wissenschaften betreffende Autografen in den Sammlungen
der Universitätsbibliothek Tartu in: Europa in der Frühen Neuzeit. Festschrift für Günter Mühlpfordt.,
Bd.6, Hg.v. E. Donnert, Köln, Weimar, Wien, 2002, S. 415
3.http://www.utlib.ee
4.Tunkina, I.V.: Неопубликованный «Исторический очерк» Архива АН СССзб 1728.-
1962 in: Академический архив в прошлом и настоящем, St. Petersburg, 2008, S. 121
5.Annalen der Bibliothek der Russischen Akademie der Wissenschaften, St. Petersburg, 2004
6.Historisches Vorlesungsverzeichnis der Universität Leipzig (online)
7.Specht, R. (Hg.): Die Matrikel des Gymnasium Illustre zu Zerbst in Anhalt 1582- 1797, Leipzig, 1930, S. 97,
100, 109;
8.Universitätsarchiv der Universität Leipzig,
9.Knüppel, H.C.: Gipsabdrücke aus Rom und Glaspasten aus St. Petersburg in: Zerbster Heimatkalender2010,
Zerbst, 2009,S. 82-93
10.Handbuch der historischen Bestände in Deutschland. Digitalisiert von Günter Kükenshöner. Hg. Bernhard
Fabian. Hildesheim: Olms Neue Medien 2003
11.Donnert,E.: Die Universität Dorpat- Jurév 1802- 1918, Frankfurt/M., 2007, S. 130

 

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